re!source News – Dezember 2020
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Steigende Mengen und Mitgliederzahlen sind ein Beleg für eine engagierte Verbandsarbeit im Jahre 2019/20. Ein umfassende und ausführliche Darstellung der aktuellen A/U/F-Aktivitäten jetzt als Aufmacher der Dezember-Ausgabe von Aluminium-Praxis. Download
https://www.alu-web.de/wp-content/uploads/2020/11/APR-12-Screen-kl.pdf
Sie gewinnt immer mehr an Einfluss und Bedeutung: Die Rede ist von der Recycling-Initiative AIUIF e.V. Auf der 10. Mitgliederversammlung im Oktober berichtete Vor-stand Walter Lonsinger über bemerkenswerte, sehr positive Entwicklungen. „Unsere Mitglieder haben durch den geschlossenen Wertstoffkreislauf 270.000 Tonnen des schädlichen Klimagases CO2 eingespart.“ Darüber hinaus wurden viele neue Mitglieder gewonnen und 2019 das Volumen der gebrauchten Aluminiumschrotte deutlich gesteigert.
Die positive Jahresbilanz präsentierte Lonsinger den Mitgliedern auf virtuellem Weg. Bedingt durch die Corona-Pandemie mussten im aktuellen Jahr viele geplante Aktionen ausfallen oder auf digitalem Weg erledigt werden, so auch die Mitgliederversammlung. Hoch erfreut ist man über den Anstieg der Mitgliederzahl. „Seit Oktober 2019 können wir 29 neue Mitglieder begrüßen. Das bedeutet einen Zuwachs von 15 Prozent und unterstreicht, wie wichtig die Arbeit des Vereins geworden ist“, betont Lonsinger. Auch beim Volumen der recycelten Aluminiumschrotte hat der Verein im Jahr 2019 zugelegt. Wurden 2018 dem Kreislauf noch 26.172 Tonnen gebrauchtes Aluminium aus Bauanwendungen zugeführt, waren es im letzten Jahr schon 34.437 Tonnen. „Das sind 31,6 Prozent mehr und bedeutet eine CO2-Einsparung von 270.000 Tonnen“, so der AIUIF- Vorsitzende. Er hob hervor: „Auch wenn wir bedingt durch die Corona-Pandemie diese Zahlen im Jahr 2020 voraussichtlich nicht erreichen werden, weisen unsere Aktivitäten in die richtige Richtung. Derzeit rechnen wir mit einem Rückgang von 5.000 Tonnen im Jahresdurchschnitt.“Gleichzeitig forderte Lonsinger die Systemhäuser auf, bei den Verarbeitern, Architekten und Planern weiter für eine Mitgliedschaft im AIUIF e.V. zu werben. „Vor allem bei Architekten müssen wir noch mehr darauf drängen, dass bei Ausschreibungen entsprechende Vorgaben gemacht werden. Es wäre wünschenswert, wenn nur Betriebe anbieten dürften, die nachweisen können, dass sie sich an einem geschlossenen Wertstoffkreislauf für Aluminium am Bau beteiligen. Dies wäre auch insbesondere bei Rückbau-Abbruchunternehmen wünschenswert“.
Um die Lobbyarbeit weiter zu intensivieren, hat die Initiative in diesem Jahr die Aktualisierung einer Studie in Auftrag gegeben, die einen genauen Überblick über die Aluminiumschrott-Materialkreisläufe einschließlich des Abbruchs liefert. „Schon im Jahr 2014 konnten wir daraus wertvolle Argumente gewinnen, und auf-zeigen wie wichtig ein closed loop für Aluminium am Bau ist“, resümierte er. Während die gesamte Auswertung nur den Mitgliedern vorliegt, soll schon in wenigen Wochen eine Zusammenfassung für alle Interessierten erscheinen. Experten gehen davon aus, dass 2019 insgesamt 110.000 Tonnen Aluschrott im Hochbau angefallen sind. Davon gingen 58.000 Tonnen wieder in die Herstellung von Hochbauprodukten. „Damit wird klar, dass über unsere Initiative mehr als die Hälfte (53 Prozent bzw. 34.437 Tonnen) dieses Materials dem Kreislauf zugeführt werden. Wir werden versuchen, die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammenzufassen und noch in diesem Jahr der Öffentlichkeit ausführlich vorzustellen. Damit können wir den intensiven Dialog mit Entscheidern aus Wirtschaft und Politik fort-setzen“, versprach Lonsinger. Er bedankte sich ausdrücklich bei den Systemhäusern Schüco, Raico, Wicona, Hueck und dem Isoliersteghersteller Techoform, die durch eine Beteiligung an den Kosten die Durchführung der Studie ermöglicht hätten.
Auch der engagierte Vor-sitzende musste sich in den zurückliegenden Wochen den Auswirkungen der Corona-Pandemie beugen. Statt sich bei Besprechungen und Tagungen für den geschlossenen Kreislauf ausgedienter Aluminiumbauteile einzusetzen, hat er die bisherige Dialogstrategie über-arbeitet. „Megathemen wie Klimaschutz und der Umgang mit wertvollen Ressourcen machen es notwendig, auch unsere Kommunikation immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.“ Die vergangenen Monate hätten gezeigt, wie wichtig es sei, auch ohne persönlichen Kontakt intensiv zu kommunizieren. „Wir konnten die Zeit nutzen und zum Beispiel unsere Webseite komplett überarbeiten“, so Lonsinger. „Der messbare Erfolg unserer Arbeit hat den neuen Web-Auftritt notwendig gemacht.“ Immer häufiger recherchieren Kommunen, Umweltfachleute, Interessenvertretungen sowie Architekten, Planer und Ingenieure, wie der Kreislauf von Aluminium aus dem Baubereich am Beispiel des AIUIF funktioniert. Diesen Ansprüchen sollen nun die neue Gestaltung und ein serviceorientierter Inhalt gerecht werden. Auch in der Kommunikation gibt es Änderungen: Ein Newsletter für Mitglieder und Interessierte sowie die verstärkte Präsenz über Twitter sollen den Dialog mit Entscheidern weiter intensivieren.
Wie sehr die Arbeit des Vereins beachtet wird, zeigen Anfragen aus anderen Bau-Gewerken. „Wir führen interessante Gespräche mit anderen Verbänden und Firmen, die sich über unsere Arbeit erkundigen. Zum Beispiel denkt auch die Flachglas-Branche stärker über das Recycling ihres Werkstoffes und mögliche Kooperationen nach“, so Lonsinger weiter. Auf jeden Fall aber bleibe der Werkstoff Aluminium im Fokus: „Wir führen zwar auch auf europäischer Ebene Gespräche – unsere Aktivitäten konzentrieren sich dennoch klar auf Deutschland.“ Beim Thema „Green Deal“ will der Verein aktiv werden und zeigen, wie gut sich die Mit-glieder aus der Metallbau-Branche schon aufgestellt haben. Ein Beispiel für die guten Chancen des Werkstoffes wird ein Dialog mit dem Institut Bauen und Umwelt (IBU). Um qualifizierte Informationen zum Recyclingpotenzial von Werkstoffen und Bauprodukten zur Verfügung stellen zu können, wird dort im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Systematik für Circularity Module zu Umwelt-Produktdeklarationen (CM-EPD) entwickelt. „Für unseren Werkstoff Aluminium ist das eine riesige Chance, ganz vorne dabei zu sein. Wir sind bereit, das kreislaufgerechte Bauen der Zukunft zu unterstützen“, resümierte der Vorsitzende.
Die Bundesregierung überarbeitet die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Bei der aktuellen Dialogfassung sieht der RNE Verbesserungsbedarf in einigen Punkten, wie der internationalen Dimension oder Bildungschancen für Menschen mit Fluchterfahrung. Ausgezeichnete Projekte zeigen, wie es praktisch geht.
NEUES MITGLIED IM A|U|F – 3A COMPOSITES STELLT SICH VOR
Die 3A Composites GmbH mit Sitz in Singen, Baden Württemberg, ist seit 09.09.2020 Mitglied des
A|U|F. 3A Composites ist führender Hersteller von verschiedenen Aluminiumverbundplatten und Erfinder der international bekannten Produkte ALUCOBOND®, DIBOND® und DIBOND®traffic. Die Produkte werden weltweit an verarbeitende Unternehmen ausgeliefert und verfügen über ausgezeichnete Produkteigenschaften für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche.
Das Thema Nachhaltigkeit ist für die 3A Composites GmbH von großer Bedeutung. Die Aluminiumverbundplatten lassen sich nach ihrem langjährigen Einsatz vollständig recyceln. Mit der Mitgliedschaft im A|U|F möchte 3A Composites einen aktiven Beitrag dazu leisten, ein Recyclingnetzwerk aus möglichst vielen Umwelt- und Sammelpartnern aufzubauen, um die Aluminiumverbundplatten auf kurzen Transportwegen wieder in den Materialkreislauf zurückzuführen.
Mehr Informationen zum Unternehmen unter www.3AComposites.com bzw. zu den Produkten unter www.alucobond.com und www.display.3AComposites.com.
PRESSEINFORMATION
24. November 20
re!source Stiftung e.V. diskutiert Lösungswege für Ressourcenschonung in der Bauund Immobilienwirtschaft
Digital planen, ressourceneffizient bauen und betreiben, nachhaltig investieren: Auf ihrer 3. Jahreskonferenz am 3. November 2020, die pandemiebedingt ausschließlich online stattfand, präsentierte die re!source Stiftung e.V. ein breites Spektrum innovativer Lösungsansätze zur
Bewältigung der komplexen Herausforderungen für die Umsetzung der Ressourcenwende in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Rund 200 Teilnehmer:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verfolgten die Vorträge und brachten sich mit ihren Fragen via Chat in die
anschließenden Diskussionen ein. Eines wurde deutlich: Klima- und Umweltschutz brauchen die Ressourcenwende in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Ein schonender Umgang mit Rohstoffen, Materialien und Energie ist unabdingbar. Echte zirkuläre Wertschöpfung ist sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich von hoher Relevanz. Zwar gelangt die Notwendigkeit einer Ressourcenwende immer mehr in das Bewusstsein der Akteur:innen, bis zur praktischen Umsetzung ist es allerdings noch ein weiter Weg. Zumal klare Rahmenbedingungen dafür weiterhin fehlen, auch wenn Ressourcenschonung mittlerweile eine zentrale Forderung in Positionspapieren der Parteien, in EU-Fahrplänen und im Green Deal der europäischen Kommission ist.
Öffentliche Hand soll mit gutem Beispiel vorangehen
In seiner Keynote stellte Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, fest, dass Klimaschutz in Kombination mit Ressourceneffizienz bislang noch nicht hinreichend betrachtet wird. In Foren und in Fachgesprächen sei Ressourcenschonung wohl immer wieder ein Thema. Die Kernproblematik, dass Gebäude für die Ewigkeit gebaut werden und der Gedanke, was am Ende des Lebenszyklus mit ihnen passiert, bleibe in der Planung jedoch unterausgeprägt. Ein weiteres Hindernis wäre die nach wie vor dominierende Sektorbetrachtung beim Klimaschutz. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass weder die öffentliche Hand noch private Investoren derzeit Ausschreibungen so gestalten, dass rezyklierbare und recycelte Materialien zum Einsatz kommen. Dringenden Handlungsbedarf sieht der Politiker in der längst überfälligen Einführung der Mantelverordnung und der Ersatzbaustoffverordnung, die es vereinfachen sollen, wiederaufbereitete Materialien im Baubereich einzusetzen. Er plädierte dafür, dass die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangeht und in ihren Ausschreibungen klar vorgibt, Recycling-Baustoffe einzusetzen. Nur dann schaffe man einen entsprechenden Nachfragemarkt.
Wissenschaft macht Ressourceneffizienz messbar
Wegweisend für eine ressourcenschonende Baupraxis sind die Ergebnisse aus der Forschung zur zirkulären Wirtschaft für Bauwerke. Im Rahmen des Forschungskollegs Verbund. NRW, das seit 2016 erfahrene Wissenschaftler:innen und Doktorand:innen aus elf Disziplinen der RWTH Aachen University und der FH Münster vereinigt, wurden verschiedene Bewertungssysteme zur Messbarkeit von Ressourceneffizienz entwickelt: Mit dem Ansatz, die Recyclingfähigkeit von Baukonstruktionen zu kategorisieren, fand Matthias Schiewerling heraus, dass es stets die gleichen Elemente sind, die zu Problemen führen, etwa Beschichtungen wie Putze und Abdichtungsbahnen. Dabei kann schon eine leicht veränderte Konstruktion zu einer deutlichen Verbesserung beitragen. Was geschieht, wenn innovative Baukonstruktionen wie Holz-Beton-Hybrid-Decken Teil des alltäglichen Baugeschehens werden, hat Sebastian Halfmann untersucht. Er empfiehlt, die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Gewerken unbedingt zeitlich und kostentechnisch mit einzuplanen, um Schäden zu vermeiden, die höhere Kosten verursachen und womöglich zum Misserfolg des Bauprojektes führen. Die von Franziska Struck entworfene Methode beinhaltet den gesamten Lebenszyklus der Konstruktion. Der Bedarf an natürlichen Ressourcen (Rohstoffe, Energie, Emissionen) sowie deren Kreislaufeignung bzw. -verhalten können so bewertet werden. Adjan Hansen-Ampah wiederum analysierte, wann ein Bauprodukt aus Sicht der beteiligten Akteure eine Innovation darstellt und stellte dabei fest, dass die für den Rückbau und die Demontage Zuständigen oftmals nicht in den Prozess zur Entwicklung eines neuen Verbundstoffes involviert sind. Zwei weitere Vorträge befassten sich mit dem Baustoff Beton: Lia Weiler zeigte die Chancen von Carbonbeton auf, der aufgrund seiner vorteilhaften Eigenschaften als „Quantensprung in der Baugeschichte“ gilt. Gleichzeitig betonte sie jedoch die Notwendigkeit diesen Baustoff über den Lebenszyklus zu betrachten und Lösungen für dessen Rückbau und das Recycling mit einzuplanen. Warum sich RC-Beton in Deutschland nur langsam durchsetzt – derzeit gibt es hierzulande lediglich 25 Hochbauprojekte – und welche Marktdurchdringung notwendig ist, untersuchte Dmytro Katerusha. Chancen der Digitalisierung nutzen. Vielversprechend sind die Möglichkeiten, die die Digitalisierung für die Ressourcenwende bietet: Das zentrale Anliegen der von Geschäftsführer Dr. Jan Tulke vorgestellten planen-bauen 4.0 GmbH ist die beschleunigte Einführung von Building Information Modeling (BIM), eine vernetzte Planungsmethode, die digitale Geschäftsprozesse entlang der Wertschöpfungskette Planen, Bauen und Betreiben begünstigt. Ebenfalls ein wertvolles Instrument ist das webbasierte Datenbanksystem des Instituts für Bauen und Umwelt e.V. (IBU) zur Erstellung, Verifizierung, Veröffentlichung und Weitergabe von Umwelt-Produktdeklarationen (Environmental Product Declaration, kurz EPD). Wie Andrea Untergutsch, Leiterin Verifizierung des IBU erläuterte, handelt es sich bei den geprüften nicht wertenden, sondern quantitativen Informationen zu Bauprodukten und deren Lebenszyklus, um ein Mittel der Umweltkommunikation gemäß ISO 14020 Typ III, die sich an Wirtschaftsakteure richten. Sie enthalten 31 obligatorische und sechs zusätzliche Indikatoren (ab 2023 ) zu Umweltwirkungen, Ressourceneinsatz, Abfallkategorie und Output-Flüssen sowie Toxizität und bilden die wesentliche Grundlage für die ökologische und ressourceneffiziente Planung von Bauwerken. Der Architekt Thomas Rau, Direktor der Madaster Foundation, eine niederländische gemeinnützige Stiftung mit dem Status eines öffentlichen Interesses, berichtete über die gleichnamige Cloud-Plattform, die den zirkulären Einsatz von Produkten und Materialien in der gebauten Umgebung ermöglicht. Leider sei Abfall Material, das noch in der Anonymität lebe. Würde man dem Material eine Identität geben, in dem man es registriert und dokumentiert, könnte Abfall im Bauwesen vermieden werden.
Für Immobilieninvestoren ist es drei Minuten vor Zwölf
Wie groß der Hebel der Finanzwirtschaft ist, um die Transformation, die sich in der Realwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit vollzieht, proaktiv zu begleiten, erläuterte Kristina Jeromin, derzeit Head of Group Sustainability bei der Deutschen Börse AG und Mitglied des Club of Rome, Deutschland, die sich 2021 für ein Mandat von Bündnis 90/Die Grünen für die kommenden Bundestagswahlen bewirbt. Im Wesentlichen gehe es darum, Transparenz herzustellen, denn nachvollziehbare Daten und valide Informationen seien der Schlüssel für verantwortungsvolle Investitions- und Kreditvergabeentscheidungen. Ergänzend zu den klassischen Finanzkennzahlen, über die Unternehmen von jeher berichten, um den unternehmerischen Erfolg zu bewerten, müssten künftig hochqualitative und standardisierte Daten zu sogenannten ESG-Kriterien (Environmental Social Governance) vorliegen. Auf europäischer Ebene biete der „Action Plan on Sustainable Finance“ mit der Taxonomie für den Bereich Klima erstmals ein Klassifikationssystem, das einheitlich definiert, was als nachhaltig gilt und in die Finanzierungsstrukturen einzubeziehen ist, so die Expertin. Franziska Schütze, Koordinatorin der Wissenschaftsplattform „Sustainable Finance“, ein Projekt der Universitäten Augsburg, Hamburg und Kassel sowie der Frankfurt School of Finance and Management und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) veranschaulichte, warum ein gemeinsames Verständnis in Bezug auf Nachhaltigkeitskriterien von Gebäuden, die eine wichtige Anlageklasse für Investoren und Banken sind, im Finanzsektor der EU unerlässlich ist: Immobilienkredite im Wert von über einer Billion Euro stehen in den Bilanzen deutscher Banken, das sind durchschnittlich 15 Prozent aller Bankbilanzen in Deutschland. Hinzu kommen Kreditlaufzeiten von bis zu 25 Jahren, bedingt durch die Lebensdauer von Gebäuden. Da sollte Transparenz zur Bewertung heutiger und zukünftiger Klimarisiken selbstverständlich sein. Ist sie aber nicht, konstatiert Stefan Baumbach, Leiter der Arbeitsgruppe Sustainable Finance der re!source Stiftung e.V.. Vor allem bei mittelgroßen Privatinvestoren spiele die Nachhaltigkeit von Gebäuden bei der Investitionsentscheidung so gut wie keine Rolle. Dabei lehre die jüngste Vergangenheit, dass es plötzlich zu bewertungsrelevanten Ereignissen kommen kann, mahnte der Finanzexperte, wie die Nuklearkatastrophe von Fukushima, die zum Atomausstieg und damit zu Stranded Assets (gestrandete Vermögenswerte) in der deutschen Energiewirtschaft geführt habe. Deutlich umsichtiger müssen institutionelle Immobilieninvestoren agieren, wobei der erwähnte „Action Plan on Sustainable Finance“ nur ein Baustein von vielen ist, so Jan von Mallinckrodt, Head of Sustainability bei der Union Investment Real Estate GmbH, eine der in Europa führenden Investmentmanager für Immobilien. Viel entscheidender ist für ihn die Umsetzung regulatorischer Anforderungen, wie die ab dem 10. März 2021 geltende Offenlegungsverordnung (verpflichtet Finanzmarktteilnehmer über den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu berichten) und die voraussichtlich ab Ende 2021 durchzuführende Nachhaltigkeitspräferenzabfrage (verpflichtet Finanzmarktteilnehmer dazu, Kunden danach zu fragen, ob sie ihr Geld nachhaltig anlegen wollen). Überdies ist das jeweilige nationale Risiko maßgeblich, das nicht CO2-konforme Gebäude für die Wirtschaftlichkeit bedeuten. Zudem limitieren Anlagegrenzen die Zahl der Projekte, die sich pro Jahr in einem Immobilienfonds befinden dürfen, was die umfassende Modernisierung mehrere Gebäude limitiert. Angesichts einer derart komplexen Gemengelage wäre es für institutionelle Immobilieninvestoren nicht fünf, sondern bereits drei Minuten vor Zwölf, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen und so das Risiko „gestrandeter Vermögenswerte“ abzuwenden.
Klima- und Ressourcenpolitik muss auch ethische Aspekte in den Mittelpunkt stellen
Nicht minder anspruchsvoll sind die Herausforderungen einer sozialgerechten Energie- und Ressourcenwende. Im Gegenteil. Vielfältige Zielkonflikte erfordern integrierte Lösung, die ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigen, was einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Für Gloria Amoruso, Doktorandin am Lehrstuhl für Umwelt und Klimapolitik an der Technischen Universität München, bedeutet eine sozialgerechte Ressourcen-/Energiewende im Gebäudesektor, dass Eigentümer genügend Anreize zum Beispiel für die energetische Modernisierung haben, dass die Miete bezahlbar bleibt und Mieter:innen wohnen bleiben können. Unter bestimmten Faktoren sind ressourcenschonende, klimafreundliche Gebäude und sozialgerechtes Wohnen auch kein Widerspruch, so die Wissenschaftlerin. Zum Selbstverständnis von Wohnungsgenossenschaften und landeseigenen Wohnungsgesellschaften beispielsweise gehöre, die Sozialverträglichkeit in der Planung energetischer Modernisierungsmaßnahmen mit zu berücksichtigen. Prof. Dr. Felix Creutzig, Leiter des Fachgebiets Sustainability Economics of Human Settlements an der Technischen Universität Berlin, gab zu Bedenken, dass die Einführung eines CO2-Preises zur Stärkung des Klimaschutzes zwar ein guter Weg ist, dass die preisliche Anhebung jedoch zu Belastungen führt, die gerade ärmere Haushalte treffen. Zentral bei solchen Klimaschutzinstrumente sei deshalb das Design. Nach Ansicht von Dr. Lukas Köhler, MdB, Philosoph und Sprecher für Klimapolitik der FDP-Bundestagsfraktion, müsse in der Klimapolitik viel mehr über Funktionen gesprochen werden. Dann wären Instrumente wie die Preissteuerung effizienter als der Eingriff in konkrete Technologien. Überdies gelte es das Vermieter-Mieter-Dilemma dahingehend aufzulösen, dass die CO2-Ersparnis beiden Parteien zugutekommt.
re!source Stiftung e.V. ist am Puls der Zeit
Nach über drei Stunden detaillierter Einblicke in die verschiedenen Handlungsfelder und lebhafter Debatten resümierte Rolf Brunkhorst, geschäftsführender Vorstand der re!source Stiftung e.V.: „Der politische Wille ist da. Die Auswirkung der notwendigen Ressourcenwende auch auf Klima- und Umweltschutz wird immer deutlicher. Die von der Wissenschaft präsentierten Beispiele zeigen, dass beste innovative Lösungen entstehen, wenn ein ganzheitlicher Ansatz gewählt wird. Auch digitale Tools stehen für die Ressourcenwende zur Verfügung. Was es jetzt braucht, ist ein Umdenken und Umsetzen in der Bau- und Immobilienwirtschaft.“ Ergänzend fügte Annette von Hagel, geschäftsführende Vorständin der re!source Stiftung e.V., hinzu: „Die Branche ist nur zukunftsfähig, wenn sie den Mut hat, neue Wege zu beschreiten, für die es bereits viele unterstützende Instrumente gibt. Abwarten ist also keine Option!“.
Informationen über re!source Stiftung e.V.:
Die re!source Stiftung e.V. ist eine unabhängige Allianz mit Mitgliedern aus Wirtschaft,
Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. re!source entwickelt gemeinsame Ziele, Strategien und Prozesse zur Ressourcenschonung in der Bau- und Immobilienwirtschaft und kommuniziert diese an relevante Zielgruppen, insbesondere auch in Richtung Politik, Ministerien und Kommunen. Ausgangspunkt bildet die Erkenntnis, dass aufgrund begrenzter Ressourcen ein Vorgehen wie bisher auf Dauer weder ökonomisch, ökologisch noch sozial verträglich möglich sein wird. re!source möchte daher eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen durch Umsetzung einer echten zirkulären Wertschöpfung in der Bau- und Immobilienwirtschaft erreichen. Zugleich trägt sie zur kommunikativen Aufklärung des Themas in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bei.
Weitere Informationen auf der Webseite: www.re-source.com
Kontakt:
re!source gemeinnützige Stiftung e.V.
Ressourcenwende in der
Bau- und Immobilienwirtschaft
Postfach 311645
10707 Berlin
E-Mail: info@re-source.com
Web: www.re-source.com
Aluminium – Werkstoff für die Kreislaufwirtschaft
Statusbericht der Deutschen Kreislaufwirtschaft 2020 veröffentlicht
„Was nützt Recycling, wenn die Recyclingprodukte nicht eingesetzt werden? Es fehlt nach wie vor der Wille, das Ruder herumzureißen. Machbar wäre das, denn allein Bund, Länder und Kommunen verfügen über ein direktes Beschaffungsvolumen von jährlich mehr als 122 Milliarden Euro. Sie haben es in der Hand, der Kreislaufwirtschaft den entscheidenden Impuls zu geben und aus Worten endlich Taten werden zu lassen“, erklärt Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer des bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung, anlässlich der Veröffentlichung des „Statusbericht der Deutschen Kreislaufwirtschaft 2020“.
Der A/U/F-Vorsitzende Walter Lonsinger schließt sich den Aussagen von Erich Rehbock an.
Der Statusbericht der Deutschen Kreislaufwirtschaft 2020 wurde in den vergangenen Wochen und Monaten erarbeitet und nun veröffentlicht. Der bvse hat sich an diesem von Prognos realisiertem Projekt mit 14 anderen Verbänden, Vereinen und Unternehmen beteiligt.
Aus gutem Grund, wie Eric Rehbock findet, denn der Statusbericht gibt einen guten Überblick über die Leistungsfähigkeit der deutschen Kreislaufwirtschaft. Mit einem Umsatz von rund 85 Milliarden Euro und über 310.000 Beschäftigten braucht sich die Recycling- und Entsorgungsbranche sicher nicht zu verstecken. Rehbock: „Gegenüber 2010 hat sich der Umsatz um satte 18 % erhöht. Das zeigt, dass wir eine dynamische Zukunftsbranche und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland sind.“
Das zeigt sich auch in der Innovationsfähigkeit der deutschen Kreislaufwirtschaft. „Bei der Anlagentechnik ist „Made in Germany“ gefragt. Da sind wir Nummer 1 auf dem Weltmarkt“, erläutert Rehbock, der aber auch davor warnt, sich auf den Lorbeeren auszuruhen, denn die Konkurrenz ist hart und im internationalen Patentranking liegt Deutschland zwar mit der 5. Position im Spitzenfeld, aber eben nicht in Führung.
Nach den Worten von Eric Rehbock muss die Kreislaufwirtschaft konsequent ausgebaut werden. Dazu müsse man verstehen, dass Kreislaufwirtschaft nicht beim Abfall anfange, sondern beim Produktdesign. Nur recyclingfähige Produkte können im Kreislauf geführt werden. Die Produkte wiederum sollten aus recyceltem Material hergestellt und von öffentlicher Hand, Gewerbe, Industrie und Privatkonsumenten nachgefragt werden.
„Von diesem Kreislauf sind wir aber leider noch ein ganzes Stück entfernt“, kritisiert der bvse-Hauptgeschäftsführer. Er fordert daher, dass die öffentliche Hand mit ihrem gewaltigen Nachfragepotenzial vorangeht. „Wenn das öffentliche Beschaffungsvolumen von mehr als 122 Milliarden Euro konsequent auf Nachhaltigkeit getrimmt wird, dann wären wir der Kreislaufwirtschaft in Deutschland einen großen Schritt näher!“
Zu einem richtigen Verständnis von Kreislaufwirtschaft gehöre aber auch zu erkennen, dass der weltweite Handel mit aus Abfällen gewonnenen Sekundärrohstoffen sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch sinnvoll ist. „Wir haben beispielsweise in Deutschland ein gut funktionierendes Erfassungssystem für alle wichtigen Sekundärrohstoffe, wie beispielsweise Fe- und NE-Metallschrotte oder auch Altpapier. Es wird dabei mehr gesammelt als in Deutschland oder der Europäischen Union wieder eingesetzt werden kann. Da ist es gut und richtig, dass diese Sekundärrohstoffe dorthin exportiert werden, wo sie benötigt werden.“
Genauso richtig sei es aber auch zu verhindern, dass Müll aus Deutschland an den heimischen Aufbereitungsanlagen vorbei irgendwo billig im Ausland verklappt wird. Das können die Bürgerinnen und Bürger zu Recht nicht nachvollziehen. Die Unternehmen der Branche erfassen die Abfälle und bereiten sie zu wertvollen Sekundärrohstoffen so auf, dass sie für die gewerbliche und industrielle Produktion genutzt werden können. Ohne die aktive Mithilfe der Menschen bei der getrennten Sammlung von Abfällen lässt sich aber keine Kreislaufwirtschaft realisieren.
Deswegen ist es so wichtig, dass beispielsweise im Zuge der anstehenden Novelle des Elektro-Gesetzes (ElektroG) die Erfassung von E-Schrott verbessert wird. Die bruchsichere und zerstörungsfreie Sammlung schadstoffenthaltender Elektronikaltgeräte ist dabei eine zwingende Voraussetzung, Schadstoffverschleppungen in den nachgelagerten Behandlungsprozessen sowie Brandrisiken zu vermeiden.
Eine ähnliche Problematik sieht der bvse auch im Bereich des Bioabfalls: Um qualitativ hochwertige Komposte und Gärprodukte zu erzeugen, sind Bio- und Grüngut sortenrein zu erfassen. Denn die Erfassung ist der erste und entscheidende Schritt, die Wertschöpfungskette zu schließen. Der Bioabfall muss bereits in der Abfalltonne möglichst frei von Fremdstoffen sein. Dazu ist eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit und die Kontrolle der Sortierung notwendig. Die technischen Möglichkeiten, über die Behandlung vorgegebene Qualitätsziele für Komposte zu erreichen, sind begrenzt. „An einer möglichst sortenreinen Erfassung von Bioabfällen führt daher kein Weg vorbei“, macht bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock die wichtige Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger deutlich.
Eine neue Datenbank führt europaweit Ökobilanz-Daten von Bauprodukten zusammen. Die über die Website www.indata.network abrufbaren Daten helfen Fachleuten aus Planung, Bauwesen und Architektur dabei, die Umweltwirkungen von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu ermitteln – und damit Gebäude nachhaltig zu planen und zu bauen. Das Angebot richtet sich an Akteure des privaten und öffentlichen Sektors, die sich mit Fragen des Nachhaltigen Bauens befassen.
Das InData-Netzwerk verwendet das ursprünglich für die vom BBSR betriebene Datenbank ÖKOBAUDAT entwickelte ILCD+EPD-Datenformat.
Weitere Informationen: www.indata.network
Der A|U|F führt mittlerweile mehr als die Hälfte der in Deutschland anfallenden Aluminiumschrotte aus dem Baubereich einem geschlossenen Wertstoffkreislauf zu und fördert damit den energiesparenden, ressourceneffizienten und umweltgerechten Umgang mit Aluminium. Das Effizienz- und Klimapotential des Recyclings ist beim Wertstoff Aluminium besonders hoch. Zugleich werden so der Abfluss von Schrotten aus Deutschland sowie des Downgrading wertvoller Legierungen unterbunden. Im Interview spricht der A|U|F-Vorstandsvorsitzende Walter Lonsinger über Entwicklung und Erfolge der Initiative.
Berlin, 22. Oktober 2020. Innerhalb von 30 Jahren kann Deutschland sich in eine klimaneutrale Nation umbauen und weiter an Wohlstand und Wirtschaftskraft gewinnen. Hierzu bedarf es eines umfassenden Investitionsprogramms, das den Ausbau der Erneuerbaren Energien prioritär vorantreibt, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie umfasst, die energetische Sanierung fast aller Gebäude beinhaltet und den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur anstößt. In einem ersten Schritt würden die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Daran würde sich ein zweiter Schritt mit einem vollständigen Umstieg auf klimaneutrale Technologien anschließen, so dass die Emissionen um 95 Prozent sinken. Mit einem dritten Schritt würden schließlich nicht vermeidbare Restemissionen durch CO2-Abscheidung und -Lagerung ausgeglichen. So lauten die wichtigsten Ergebnisse einer umfangreichen Studie, die im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität erarbeitet wurde und deren Zusammenfassung heute vorgestellt wurde.
Mit einer Anhebung des Klimaziels 2030 um zehn Prozentpunkte auf -65 Prozent Treibhausgasemissionen würde Deutschland auch seinen Beitrag zu einem erhöhten EU-Klimaziel für 2030 leisten. Dieses wird derzeit als Teil des European Green Deal zwischen dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedsstaaten verhandelt, es wird voraussichtlich Ende des Jahres von bisher -40 Prozent auf -55 bis -60 Prozent angehoben. Wesentlicher Bestandteil einer beschleunigten Klimapolitik ist der ebenso deutlich beschleunigte Zubau von Wind- und Solarstromanlagen, er muss sich gegenüber heute verdreifachen. Das im aktuellen Entwurf des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gesetzte Ziel eines Anteils von 65 Prozent Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im Jahr 2030 reicht für ambitionierteren und bezahlbaren Klimaschutz indes nicht aus, es müsste dafür auf 70 Prozent erhöht werden – bei gestiegenem Stromverbrauch aufgrund neuer Verbraucher wie Elektroautos und Wärmepumpen.
„Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitions- und Zukunftsprogramm für Deutschland, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Dafür müssen wir beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen alles geben, sie bilden den Grundpfeiler für eine klimaneutrale Bundesrepublik. Ihr Ausbau ist von nun an nicht mehr nur im öffentlichen Interesse, sondern dient der nationalen und wirtschaftlichen Sicherheit.“
Energiewirtschaft
Bei der Photovoltaik ist der Studie zufolge eine Verdreifachung der aktuell installierten Leistung auf 150 Gigawatt bis 2030 nötig. Bei Windkraft an Land müsse sie von aktuell 54 auf 80 Gigawatt steigen. Die Windkraft auf See müsse von derzeit knapp 8 auf 25 Gigawatt im Jahr 2030 wachsen. Im Gegenzug würde der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschleunigt und schon bis 2030 abgeschlossen. Die Energiewirtschaft würde in diesem Szenario zur Hauptsäule des Klimaschutzes in den nächsten zehn Jahren. Sie alleine kann die jährlichen CO2-Emissionen um 207 Millionen Tonnen senken, was in etwa der Hälfte der nötigen Minderung von 420 Millionen Tonnen im Jahr 2030 entspricht.
Bis 2050 steigt der Anteil Erneuerbarer Energien dann auf 100 Prozent am Stromverbrauch, wobei sich die Stromnachfrage aufgrund der sektorübergreifenden Elektrifizierung sowie durch die steigende Herstellung von Wasserstoff um rund 50 Prozent auf 960 Terawattstunden erhöhen wird. Gebraucht wird Wasserstoff auch als Speicher. Er wird in Back-up-Kraftwerken eingesetzt, die einspringen, wenn Wind- und Solaranlagen keinen Strom liefern können.
„Die Weichen für Klimaneutralität 2050 und minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 werden in der nächsten Legislaturperiode gestellt“, sagt Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität. „Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist deshalb von zentraler Bedeutung. Kluge Instrumente und Politiken modernisieren die Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands in Richtung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute Politik den anstehenden Strukturwandel so, dass er alle mitnimmt.“
Verkehr
„Im Verkehrssektor ist der Ausstieg aus dem Öl eingeläutet“, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. „Je schneller sich Automobilindustrie und Energielieferanten darauf einstellen, desto besser sind ihre langfristigen Marktchancen. Im Pkw-Markt werden sich batterieelektrische Fahrzeuge durchsetzen und Verbrenner bis spätestens 2035 europaweit verdrängen, so wie es sich in Kalifornien bereits abzeichnet.“ Bis 2030 werden demnach rund 14 Millionen Elektro-Pkw auf der Straße sein.
Auch im Güterverkehr verlangt das Klimaneutralitätsszenario eine schnelle Elektrifizierung. Bis 2030 wird rund ein Drittel der Lkw-Fahrleistung mit Stromantrieb erbracht, vor allem mit Hilfe von Oberleitungen und Batterien. Für das Jahr 2050 ergibt das Szenario, dass jeweils etwa ein Drittel des Straßengüterverkehrs über Batterien, Oberleitungen und Brennstoffzellen angetrieben wird. Gleichzeitig wächst die Bedeutung der Schiene. Die Leistung des Schienengüterverkehrs steigt bis 2030 um 44 Prozent, während der Straßengüterverkehr nur geringfügig wächst.
Strombasierte synthetische Kraftstoffe kommen dem Szenario zufolge im Verkehr erst nach 2030 allmählich zum Einsatz, vor allem im Flug- und Schiffsverkehr, während der Anteil von Biokraftstoffen langfristig stark zurückgeht, weil Biomasse in anderen Sektoren effizienter genutzt werden kann und die Mengenpotenziale begrenzt sind. Zudem zeigt die Studie, dass Verkehr für die Klimaneutralität zunehmend auf Bus, Bahn, Fuß und Fahrrad verlagert wird. Die von Bus und Bahn erbrachte Personenverkehrsleistung verdoppelt sich nahezu bis 2035, während die des Pkw bis 2030 um 11 Prozent und bis 2050 um 30 Prozent sinkt.
Industrie
Für die Industrie ist neben der direkten Versorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur entscheidend. In der Stahlindustrie etwa öffnet sich derzeit ein Gelegenheitsfenster: Rund die Hälfte der Hochöfen in Deutschland muss bis 2030 aus Altersgründen ersetzt werden; Anlagen, die anstelle von Kokskohle mit Wasserstoff betrieben werden, könnten den CO2-Ausstoß der Industrie drastisch senken. Bis 2050 wird Wasserstoff zudem nach und nach Erdgas als Rohstoff ersetzen. Neben inländisch hergestelltem Wasserstoff werden Wasserstoffimporte immer wichtiger werden. Die Studie geht davon aus, dass etwa drei Viertel des hierzulande benötigten Wasserstoffs außerhalb Deutschlands produziert werden wird. Gleichwohl werden sich nicht alle CO2-Emissionen in der Industrie vermeiden lassen. So entsteht beispielsweise bei der Zementproduktion während des Kalkbrennens stets CO2. Um solche Emissionen zu neutralisieren, führe kein Weg an einer Abscheidung und unterirdischen Deponierung (Carbon Capture and Storage; CCS) vorbei. In Kombination mit der Nutzung von Biomasse sei der Einstieg in die CCS-Technologie um 2030 auch unvermeidbar, um Restemissionen etwa in der Landwirtschaft auszugleichen.
Gebäude
In allen Bereichen spielt überdies die Steigerung der Energieeffizienz eine wichtige Rolle, besonders aber im Gebäudesektor. Denn trotz eines massiven Ausbaus der Erneuerbaren Energien werden Strom und Wasserstoff nicht im Überfluss zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund haben die Autorinnen und Autoren der Studie in ihren Szenarien die vollständige energetische Sanierung des Gebäudebestands bis 2050 vorgesehen und stets mit der effizientesten Nutzung von Strom zum Heizen kombiniert. So haben sie beispielsweise Wärmepumpen zur Gebäudeheizung vorgezogen und gehen davon aus, dass bereits 2030 in sechs Millionen Gebäuden damit geheizt wird. Denn eine Wärmepumpe verbraucht mindestens fünfmal weniger Strom als nötig ist, um die gleiche Wärmeenergie aus elektrisch hergestelltem synthetischem Erdgas zu gewinnen.
Landwirtschaft
In der Landwirtschaft geht es bis 2030 vor allem darum, Methanemissionen aus Gülle zu verringern, etwa durch Vergärung in Biogasanlagen. Zudem werden vermehrt Kulturarten mit geringerem Bedarf an Stickstoffdünger angebaut. Zusätzlich lassen sich die Methanemissionen aus der Tierhaltung durch eine Verringerung der Tierbestände vermindern. Nicht vermeidbare Emissionen in der Landwirtschaft werden von 2050 an ebenso wie in der Industrie über CCS bei der Nutzung von Bioenergie neutralisiert.
Die Studie „Klimaneutrales Deutschland“ wurde von der Prognos AG, dem Öko-Institut und dem Wuppertal Institut im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität erstellt. Die Zusammenfassung mit Ergebnissen und Szenarioannahmen steht unter www.agora-energiewende.de, www.agora-verkehrswende.de und www.stiftung-klima.de zum kostenfreien Download bereit. Die ausführliche Version der Studie mit Ergebnissen für alle Sektoren, Modellierungsvarianten und Methodenteil wird voraussichtlich am 9. November veröffentlicht.
Über Agora Energiewende und Agora Verkehrswende
Agora Energiewende und Agora Verkehrswende erarbeiten wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Wege, damit die Energiewende sowohl im Strom- als auch im Verkehrssektor gelingt. Die beiden Thinktanks sind gemeinsame Initiativen der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.
Über Stiftung Klimaneutralität
Die Stiftung Klimaneutralität wurde gegründet, um in enger Kooperation mit anderen Denkfabriken sektorübergreifende Strategien für ein klimagerechtes Deutschland zu entwickeln. Auf der Basis von guter Forschung will die Stiftung informieren und beraten – jenseits von Einzelinteressen.
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