Ressourceneffizienz beim Bauen wird zum Schlüsselfaktor
Interview mit Walter Lonsinger, dem Vorstandsvorsitzenden der Initiative Aluminium und Umwelt im Fenster- und Fassadenbau (AIUIF)
Frankfurt, 20. Mai 2021 – Knappe heimische Ressourcen, Probleme bei den Lieferketten, Wettbewerb um kritische Rohstoffe – unsere Versorgung mit Rohstoffen steht vor einigen aktuellen Problemen. Betroffen sind nicht nur Hoch- und Zukunftstechnologien. Auch der Bereich Wohnen und Gebäude ist von Rohstoffen abhängig. Aktuelles Beispiel sind Verknappungen beim Rohstoff Holz. Im Interview spricht der AIUIF-Vorstandsvorsitzende Walter Lonsinger über die aktuellen Probleme der Rohstoffversorgung und eine neue Wertstoff-Studie, die die Mengenströme für Aluminiumschrotte im Baubereich erfasst.
Herr Lonsinger, steht die Baubranche vor einem Rohstoffproblem?
Walter Lonsinger: Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass wir in vielen Lebensbereichen von der hinreichenden Versorgung mit Rohstoffen abhängig sind. Es geht nicht nur um die Versorgung mit seltenen Mineralien oder Metallen für unsere High-Tech-Industrien. Deshalb müssen wir uns umfassend und nachhaltig um unsere Rohstoffversorgung in allen Verwendungsbereichen kümmern. Holz, um das aktuelle Beispiel aufzugreifen, ist ein wunderbarer Rohstoff. Holz ist nachhaltig und hat eine ausgezeichnete Klimabilanz. Es lässt sich konstruktiv innovativ und vielfältig verarbeiten. Aber Holz lässt sich nicht in geschlossenen Wertstoffkreisläufen wiederverwerten. Wenn die nachhaltige Forstwirtschaft unverschuldet vor Problemen steht, wie aktuell durch Trockenheit oder Schädlingsbefall, gerät der Markt in Schieflage. Das ist beim Werkstoff Aluminium grundsätzlich anders. Konsequentes Recycling innerhalb geschlossener und zertifizierter Kreisläufe sichert den Markt gegenüber Preis- und Versorgungsrisiken ab, spart Energie und entlastet das Klima.
Gilt das auch in Zeiten der Corona-Pandemie?
Walter Lonsinger: Zu unserer großen Überraschung entwickeln sich sowohl unsere Mitgliederzahlen wie auch die Mengen außerordentlich positiv. Im Verlaufe des ersten Quartals 2021 stieg die Zahl der Mitglieder auf rund 220. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass eine seriöse Bilanzierung von Schrotten und Abfällen in der Produktion, bei Abbruch und Sanierung sowie beim Neubau ein wichtiges Merkmal im Wettbewerb um Ausschreibungen und Aufträge sind. Die Mitgliedschaft in einer Organisation, die sich der Ressourceneffizienz widmet, wird immer wertvoller für die Unternehmen. Gerade in der Zeit der Corona-Pandemie hat es sich auch gezeigt, dass wir uns darum kümmern müssen, dass die anfallenden Schrotte innerhalb Europas im Kreislauf verbleiben und nicht in ferne Länder exportiert werden sollten.
Und bei der Mengenentwicklung…
Walter Lonsinger: …gab es einen großen Sprung nach oben. Die über den A|U|F bilanzierte Menge an Aluminiumschrotten aus dem Baubereich wuchs um rund 10.000 Tonnen. Unsere Jahres-Gesamtmenge stieg damit 2020 auf etwas mehr als 45.000 Tonnen. Damit nähert sich der Marktanteil des über den A|U|F organisierten Volumens der Marke von 50 Prozent.
Die EU und auch Deutschland verknüpfen ihre klimapolitischen Ziele zunehmend mit der Ressourceneffizienz und der Kreislaufwirtschaft. Kommt Ihnen diese Entwicklung zugute?
Walter Lonsinger: Der europäische Green Deal musste hinter der Pandemiebekämpfung zunächst zurückstehen. Jetzt nimmt die europäische Klimapolitik wieder Fahrt auf. Deutschland hat sich durch das Klimaschutzgesetz und seine aktuelle Neufassung eng an die neuen europäischen Klimaziele angelehnt. Klimaneutralität bis 2050 ist kein abstraktes Fernziel mehr, konkrete Zwischenziele müssen erreicht werden. Bisher haben wir die europäischen und die nationalen Klimaziele vor allem durch Emissionsreduktionen in der Energiewirtschaft und bei energieintensiven Unternehmen erreicht. Der Kohleausstieg wird uns bis 2030 noch einmal einen großen Schritt voranbringen. Aber das allein wird nicht reichen.
Was meinen Sie konkret?
Walter Lonsinger: Ich sehe im Gebäudebereich ein großes Potenzial. Allerdings reichen dazu Appelle an Bauherren und Eigentümer sowie Förderprogramme nach dem Gießkannen-Prinzip allein nicht aus. Sowohl die Ressourceneffizienz wie auch die Kreislaufwirtschaft bieten große bis sehr große Treibhausgas-Senken. Sie zu heben ist Aufgaben aller, die an den jeweiligen Wertschöpfungsketten beteiligt sind. Insbesondere die Kreislaufwirtschaft ist ohne das Zusammenspiel vieler Akteure nicht vorstellbar.
Damit sind wir beim A|U|F?
Walter Lonsinger: Genau! Der A|U|F verknüpft Metall-, Fenster- und Fassadenbauunternehmen, Abbruch- und Demontageunternehmen, Schrotthändler und Entsorger, Verwertungs- und Aufbereitungsbetriebe, Remelter, Presswerke und Systemhäuser. Aber das ist nicht alles. Durch unsere regelmäßig aktualisierte Wertstoff-Studie bilden wird tonnenscharf die Mengenströme ab und schaffen damit eine Transparenz, die ziemlich einmalig ist.
Über welchen Markt sprechen wir eigentlich?
Walter Lonsinger: In Deutschland fallen pro Jahr etwa 110.000 Tonnen Aluminiumschrotte im Baubereich an. Davon stammt knapp ein Drittel aus Produktion und Verarbeitung. Der Anteil dieser Pre-Consumer Schrotte nimmt pro Jahr nur um etwa 0,9 Prozent zu, was auf eine hohe Effizienz bei der Herstellung und Verarbeitung von Aluminiumprofilen hinweist. Dennoch ist es wichtig, bereits bei den herstellenden und verarbeitenden Unternehmen mit dem Recycling innerhalb eines geschlossenen Wertstoffkreislaufs zu beginnen und die hochwertigen Schrotte nicht im allgemeinen Recycling zu verlieren.
Und der Rest?
Walter Lonsinger: Zwei Drittel des Aufkommens von Aluminiumschrotten im Hochbaubereich fallen als Post-Consumer-Bereich oder „End of Life“ an, also im Wesentlichen bei Abbruch, Entkernung und Demontage. Hier steigen die Mengen jahresdurchschnittlich um knapp fünf Prozent an und hier liegt das von mir angesprochene Potenzial der Zukunft. Allein zwischen 2014 und 2019 hat sich die Menge um 29 Prozent erhöht.
Können Sie das auch in Volumen formulieren?
Walter Lonsinger: Gerne, unsere Studie ermittelt Informationen bis ins Detail. Die Unternehmen des Metall-, Fenster- und Fassadenbaus liefern insgesamt rund 28.800 Tonnen Schrotte an, das sind im Durchschnitt etwa 20 bis 25 Tonnen pro Betrieb und Jahr. Von der Gesamtmenge stammen etwas mehr als 20.000 Tonnen aus dem Pre-Consumer-Bereich, also der Verarbeitung. an. Bei Abbruch, Entkernung und Demontage fallen insgesamt knapp 64.000 Tonnen an. Diese Menge stammt naturgemäß ausschließlich aus dem Post-Consumer-Bereich. Den Rest, also knapp 16.000 Tonnen machen Pre-Consumer-Schrotte aus dem Bereich Profilhersteller und Systemhäuser aus.
Welche Anwendungsbereiche liefern die meisten
Schrotte?
Walter Lonsinger: Sowohl bei den Pre- wie bei den Post-Consumer-Schrotten bilden die Fenster mit jeweils etwa der Hälfte des Aufkommens den größten Anteil. Bei den Pre-Consumer-Schritten folgen Türen und Tore mit etwa einem Viertel, sowie Fassaden Dächer und Außenwandverkleidungen mit zehn bis 20 Prozent. Gut zehn Prozent entfallen auf Sonnen- und Regenschutz Anlagen sowie Inneneinrichtungen. Bei den Post-Consumer-Schrotten folgen auf die Fenster mit einem Anteil von 25 bis 35 Prozent Fassaden, Dächer und Außenverkleidungen. Türe und Tore sowie Innenausstattung kommen jeweils auf etwa zehn Prozent.
Damit ist die Aufkommensstruktur bei den Aluminiumschrotten aus dem Hochbaubereich recht heterogen. Wie sieht es bei der Aufbereitung und Wiederverwertung aus?
Walter Lonsinger: Das von uns mit der Wertstoffstudie beauftragte Unternehmen Conversio hat ermittelt, dass die Unternehmen des Metall-, Fenster- und Fassadenbaus etwas mehr als die Hälfte ihrer Schrotte direkt an Aufbereiter weitergeben. Etwas weniger als die Hälfte geht an Schrotthändler und Entsorger. Wir gehen davon aus, dass die gesamte Menge nahezu vollständig im Inland verbleibt und einer Wiederaufbereitung unterzogen wird. Bei Abbruch, Entkernung und Demontage gehen allerdings nur etwa 17 Prozent direkt an Aufbereiter und 82 Prozent an Schrotthändler und Entsorger. Diese geben zwar rund 70 Prozent weiter an Aufbereiter, aber es kommt auch zu einem nennenswerten Abfluss ins Ausland. Besonders hoch liegt der Anteil bei den sauberen und begehrten Pre-Consumer-Schrotten. In Summe fließen derzeit etwa 16 Prozent der in Deutschland anfallenden Aluminiumschrotte aus dem Baubereich ins Ausland ab. Diesen Anteil sollten wir minimieren, indem die Kooperation zwischen Entsorgern und Aufbereitern gestärkt wird.
Und welche Rolle spielt der A|U|F dabei?
Walter Lonsinger: Von den in Deutschland aufbereiteten Schrotten, die der Wiederverwertung zugeführt werden, sind derzeit etwa 46 Prozent durch den A/U/F erfasst und zertifiziert. Das heißt aus alten Profilen für den Baubereich werden neue Profile für den Baubereich. Die Qualität der Legierungen bleibt erhalten, der Energieaufwand sinkt und die Klimabilanz wird verbessert. Die aktuelle Entwicklung der durch den A|U|F bilanzierten Mengen sowie die Erwartung eines Marktwachstums von drei bis vier Prozent pro Jahr geben Anlass zu Optimismus.
Offenbar fragt der Markt Sekundärmaterial verstärkt nach, welche Perspektiven haben Profile aus Primäraluminium?
Walter Lonsinger: Wir sollten Primär- und Sekundärmetalle nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie als komplementäre Partner in einem Gesamtsystem sehen. Aluminium ist eine relativ junges Metall in der Anwendung und die Ressourcen des Urban Mining können die steigende Nachfrage nicht vollständig decken. Es geht um eine Optimierung: soviel Sekundärmetall aus geschlossenen Wertstoffkreisläufen wie möglich und eine bedarfsgerechte Versorgung mit Primärmetall, das so energieeffizient und klimaschonend wie möglich erzeugt werden sollte.
Wie gehen Sie konkret vor?
Walter Lonsinger: Wir ermuntern derzeit schwerpunktmäßig den Bund, die Länder und vor allem die Kommunen, die Wiederverwertung von Aluminiumschrotten innerhalb eines geschlossenen Wertstoffkreislaufs zu fördern, anstatt restriktiv mit Anwendungseinschränkungen oder gar Verboten zu agieren. Unsere Überzeugungsarbeit zeigt Wirkung wie uns ausführende Firmen, Architekten und Planer versichern.